cpo 777 038-2
2 CD • 2h 16min • 1981
13.10.2004
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Weiß heutzutage noch jemand, wer oder was ein „Rastelbinder“ ist? Die Auskunft erteilt Julius Jacobs „Wörterbuch des Wiener Dialektes“ von 1929: „Drahtbinder, Wanderhändler mit Mausefallen u. dgl., meist armer Slowak.“ Franz Lehárs erster großer Operettenerfolg aus dem Jahr 1902 schildert das Arme-Leute-Milieu in einem slowakischen Dorf, mit seinem Gemisch aus Bauern, Bettlern, Profiteuren und jüdischen Hausierern. Ein ungewöhnlicher Schauplatz für eine Wiener Operette – doch ungewöhnlich ist so ziemlich alles in diesem Stück, das eine nicht leicht zu entwirrende Mischung aus den verschiedensten Theaterelementen darstellt. Beginnend als Milieustudie mit farbigem Lokalkolorit, wandelt sich die Handlung zur Wiener Lokalposse und gerät im letzten Teil zum puren Militärschwank. Lehár hat dazu mit bewundernswerter Unbekümmertheit eine flotte Musik geschrieben, die sich durch Frische und feurige Energie auszeichnet. Im Rastelbinder ist so gut wie nichts von jener weichlichen Sentimentalität enthalten, die sich erst in die späteren Lehár-Operetten einschleicht. Das anmutige Duett Wenn zwei sich lieben ist die bekannteste Nummer daraus.
Was das Stück vor allem auszeichnet und ihm seine Eigenart verleiht, ist die Zentralfigur, der jüdische Zwiebelhändler Pfefferkorn. Eine Gestalt wie aus einem Roman von Joseph Roth: witzig, schlau, komisch, rührend. Mit diesem liebenswerten Juden Pfefferkorn wurde eine der großen Gestalten der Wiener Operette geschaffen, das muß bei aller Sensibilität, die zu diesem Thema besteht, konstatiert werden. Fritz Muliar, der sich als Jargonkünstler schon oft bewährt hat, verleiht der Rolle alle Züge der Verschmitztheit, bleibt aber doch bei aller Drastik stets angenehm dezent.
Die cpo-Aufnahme stammt aus dem Wiener Rundfunkarchiv und ist schon vor vielen Jahren entstanden, sie bietet mit ihrem ausgezeichneten Ensemble eine überaus lebendige Präsentation, in der es nur wenige Schwachpunkte gibt (dazu zählt leider die Darstellerin der Suza, Elfie Hobarth).
Lehárs Operette Der Sterngucker (ebenfalls bei cpo) ist in jüngster Zeit von der Kritik mit hohem Lob und sogar mit Preisen bedacht worden. Der Rastelbinder ist trotz des etwas chaotischen Librettos von Victor Léon das weit bessere, kraftvollere Werk, auch die Wiedergabe ist gut gelungen, somit müßte die Aufnahme in der Bewertungsskala zu einem noch höheren Platz aufsteigen.
Clemens Höslinger [13.10.2004]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Franz Lehár | ||
1 | Der Rastelbinder (Operette in 2 Akten) |
Interpreten der Einspielung
- Fritz Muliar (Kammerschauspieler)
- Helga Papouschek (Sopran)
- Elfie Hobarth (Sopran)
- Heinz Zednik (Tenor)
- Adolf Dallapozza (Tenor)
- ORF-Chor (Chor)
- Wiener Mozart Sängerknaben (Chor)
- ORF-Symphonieorchester (Orchester)
- Hans Graf (Dirigent)