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Besprechung CD

Walter Kaufmann

Orchestral Works Vol. 1

cpo 555 631-2

1 CD • 71min • 2023

28.03.2024

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 8
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Noch zu k. u. k. Zeiten in Karlsbad geboren, teilt Walter Kaufmann (1907-1984) seinen komplizierten Lebensweg mit vielen deutschsprachigen Juden, die der intellektuellen Prager Kulturszene zuzurechnen wären. Zunächst studierte Kaufmann dort Komposition, später in Berlin bei Franz Schreker und Musikwissenschaft bei Curt Sachs, der früh sein Interesse an indischer Musik weckte. Er assistierte als Dirigent Bruno Walter und feierte schnell Erfolge mit eigenen Werken. 1927 ging er als Doktorand nach Prag, fand dort Anschluss an den Freundeskreis um Franz Kafka, heiratete später in erster Ehe sogar dessen Nichte Gerty. Mit dem Entschluss, 1934 vor den Nazis zu fliehen, bot sich sofort Indien an. In Bombay wirkte er beim All India Radio und erforschte intensiv die indigene Musik des Subkontinents. Neben zahlreichen Kompositionen klassischer Gattungen schrieb er auch Filmmusiken für das gerade im Entstehen begriffene „Bollywood“. Über England und Kanada – das Musikleben Winnipegs brachte er zu ungeahnter Blüte – gelangte er schließlich 1956 in die USA an die berühmte Musikfakultät der Indiana University in Bloomington. Seine musikethnologischen Arbeiten genießen bis heute hohes Ansehen.

Spritzig heiteres Klavierkonzert

Das Schicksal von Walter Kaufmanns Musik erinnert den Rezensenten ein wenig an das des seit kurzem wieder in den öffentlichen Fokus getretenen Hans Winterberg – beide erhielten in Prag etwa gleichzeitig Unterricht bei Fidelio F. Finke. Auch Kaufmanns Werke werden erst seit 2019 verlegt: bei Doblinger. Daher ist die vorliegende CD die erste kommerzielle Aufnahme mit seiner Orchestermusik überhaupt; bislang existierte lediglich eine Kammermusikproduktion auf Chandos. Das 3. Klavierkonzert (1950), offenkundig völlig unbeeinflusst von indischer Musik, klingt erstaunlich spritzig und in den Ecksätzen gelöst heiter. Der Klaviersatz ist brillant, ohne die pianistischen Anforderungen auf die Spitze zu treiben, die Orchestrierung sehr farbig. Das Andante beeindruckt mit tiefsinniger Trauer, wirkt jedoch nicht desolat. Insgesamt leicht zu hörende, äußerst ansprechende Musik. Die russisch-stämmige Elisaveta Blumina, bekannt vor allem wegen ihres nachhaltigen Engagements für Mieczysław Weinberg, spielt dies mit edlem Glanz. Das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter dem Briten David Robert Coleman lässt sich von der positiven Grundhaltung des Stücks gleichermaßen anstecken.

Ein wenig sperriger Umgang mit indisch geprägter Musik

Die drei übrigen hier vorgestellten Orchesterwerke versuchen, traditionelle indische Musik – namentlich Raga-inspirierte Melodien – in westliche Klangwelten einzubinden. Die Dritte Sinfonie (1936) und die Indische Sinfonie (1943) entstanden in Bombay. Hinsichtlich der aufgewandten Mittel erscheinen beide recht reduziert, basieren über weite Strecken auf überwiegend pentatonischen Motiven. Für europäische Ohren wirkt dies – egal, wie gekonnt man solche Tonfolgen imitatorisch einsetzt oder permutiert usw. – erfahrungsgemäß schnell ermüdend; selbst der Dirigent schreibt dazu: „Zuerst kamen mir die Partituren fremd vor.“ Äußerlich folgen beide Stücke klassischer Dreisätzigkeit: schnell – langsam – schnell. Dabei sind die Finalsätze jeweils festlicher instrumentiert und überhaupt am wirkungsvollsten. Die späten Indischen Miniaturen von 1965 schließlich stellen die Ragas noch gezielter in den Mittelpunkt, wunderschön von solistisch agierenden Instrumenten oder kleineren Gruppen vorgetragen, während der Rest lediglich Begleitfunktionen erfüllt.

Sehr eigenständige Musik, die man weiterverfolgen sollte

Da Walter Kaufmann im Unterschied zu anderen Komponisten eben nicht irgendwelche Exotismen „erfindet“, sondern fachkundig echtes indigenes Material verarbeitet, setzt eine wirklich optimale Darbietung wohl auch eine angemessene Beschäftigung mit den Vorbildern voraus, die natürlich hier sicher nicht geleistet werden konnte. Man darf froh sein, dass überhaupt ein Spitzenensemble für diese Ersteinspielungen in Zusammenarbeit mit Deutschlandfunk Kultur gewonnen werden konnte, wobei die Aufnahmetechnik und das Booklet keine Wünsche offenlassen. Interessant wäre auf jeden Fall, diese sehr eigenständige Musik mit der ungewöhnlichen Verwurzelung in zwei Kontinenten mal einem asiatischen Sinfonieorchester vorzulegen, welchem sie möglicherweise spontan viel leichter zugänglich sein dürfte. Walter Kaufmann ist eine interessante Neuentdeckung bei den Exilkomponisten, die zweifellos Alleinstellungsmerkmale aufweist und weiterverfolgt werden sollte.

Martin Blaumeiser [28.03.2024]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Walter Kaufmann
1Klavierkonzert Nr. 3 00:21:42
4Sinfonie Nr. 3 00:18:45
7An Indian Symphony 00:15:43
10Six Indian Miniatures 00:13:56

Interpreten der Einspielung

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