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Besprechung CD

Johanna Senfter

Chamber Music

cpo 555 495-2

2 CD • 2h 10min • 2023, 2021

13.06.2024

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 8
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Seit einiger Zeit – genau genommen bereits seit den 1990ern, deutlich verstärkt aber erst innerhalb der letzten gut zehn Jahre – findet die Musik der Komponistin Johanna Senfter (1879–1961) verstärkt Beachtung. Senfters Leben und Schaffen ist geographisch vor allem mit ihrer Heimatstadt Oppenheim verbunden, wo sie den Großteil ihres Lebens verbrachte und in den 1920er Jahren auch als Organisatorin des dortigen Musiklebens hervortrat, während ihr Lehrer und Mentor Max Reger stets ihr künstlerischer Leitstern blieb. Dass sie gegen Ende ihres Lebens kaum noch Beachtung fand, hat mehrere Gründe, so die grundsätzlich spätromantische Ausrichtung ihrer Musik, auch von ihr selbst so wahrgenommene Vorbehalte gegenüber komponierenden Frauen und nicht zuletzt, dass publik wurde, dass sie in ihrer Sinfonie Nr. 6 anscheinend das Horst-Wessel-Lied zitiert hatte. Das Label cpo hat nun eine Doppel-CD mit Kammermusik Senfters (insbesondere für Klarinette) zusammengestellt, die einen Überblick über fünf Dekaden ihres Schaffens liefert; es spielt das deutsch-israelische Elsa Ensemble.

Reger als Mentor und Bezugspunkt

Wir erleben also eine Komponistin, die stilistisch unzweifelhaft von Reger kommt (weitere Vorbilder, auch diese auf die ein oder andere Weise in ihrer Musik spürbar, sind Brahms und Bach): spät- bis nachromantische, oft stark chromatisch geprägte Musik mit einem ausgeprägtem Interesse an Kontrapunktik, oft genug bereits präsent, wenn die Themen erstmals erklingen, im Verlauf der Musik dann häufig im Rahmen von ausgedehnten Fugato-Passagen. Alle sechs Werke sind aus ähnlichem Holz geschnitzt, verraten aber dennoch eine Entwicklung; so ist das einleitende Klavierquartett e-moll op. 11, wohl um 1911 entstanden, sicherlich das am stärksten an der Tradition orientierte Werk. Gerät die Rhythmik hier stellenweise vielleicht noch etwas schematisch, spielt Senfter in ihren reifen Werken immer wieder mit leichten rhythmischen Verschiebungen und Unregelmäßigkeiten. Die (gemäß Beiheft) noch weiter gesteigerte Chromatik und den verstärkten Dissonanzenreichtum in ihrem Spätwerk höre ich vor allem im Klarinettenquintett B-Dur op. 119 (1950) und im Kleinen, leichten Trio op. 134, ihrem mutmaßlich letzten Werk, weniger eigentlich noch im Trio für Klarinette, Horn und Klavier G-Dur op. 103 (um 1943).

Lyrische, eher dunkle Farben

Senfter bevorzugt dunkle, gerade in den langsamen Sätzen elegische Stimmungen, und auch in ihren Allegro-Sätzen in Dur bleibt es eine im Grunde genommen ernsthafte, absichtsvolle, manchmal etwas monochrome Musik. Dies gilt selbst dann, wenn sie spielerische Leichtigkeit beschwört wie im Finale des Klarinettenquintetts, das die qua Vortragsanweisung „lustige“ Stimmung des Hauptthemas durch allerhand Modulationen und Fugati schnell relativiert, und erst recht im nur vom Umfang her „kleinen, leichten“ Klaviertrio op. 134, das drei barocke Tänze etwas spröde in Senfters Klangwelt überträgt (und als didaktisches Werk, wie es der Titel vielleicht nahelegt, eher schwer vorstellbar ist). Obwohl Senfter selbst die melodische Linie als Zentrum ihrer Musik betrachtete, zeichnen sich ihre Werke eigentlich nicht zuvorderst durch ihre Einprägsamkeit aus, es ist schon eher die verschattete, vergrübelte Atmosphärik, die im Gedächtnis bleibt und der Musik ihre Momente verschafft, etwa dann, wenn am Ende des langsamen Satzes des Trios op. 103 die Wolken etwas aufklaren. Farben trägt Senfter eher dezent auf, so beim zarten pianistischen „Schillern“ gegen Ende des langsamen Satzes der Klarinettensonate A-Dur op. 57 (um 1925). Der expressiven Wucht, die Regers Chromatik entfalten kann, begegnet man bei Senfter eher selten, ihre Musik ist tendenziell lyrischer, wovon auch ihre Vorliebe für Altinstrumente zeugt, namentlich in der Sonate für Klarinette, Viola, Horn und Klavier D-Dur op. 37 (um 1920).

Engagiertes Plädoyer

All diese Werke erfahren durch das Else Ensemble überzeugende, beherzte Darbietungen; beim Klarinettenquintett ist die Lesart des von Kilian Herold und dem Armida-Quartett die etwas lyrischere, während das Else Ensemble eher die zerklüfteten Seiten dieser Musik hervorhebt. Begleitet wird die Produktion von einem von Shelly Ezra, der Klarinettistin des Ensembles, verfassten Begleittext (wobei die deutsche Fassung sprachlich eher holprig geraten ist), der von viel Engagement und Begeisterung für Senfters Musik zeugt. Ich tue mich etwas schwer damit, hier in aller Konsequenz zu folgen: wie cpo und andere Labels (stellvertretend sei etwa MDG genannt, zumal mich die vorliegende Produktion unwillkürlich an deren erstes Sträßer-Album denken ließ) in den vergangenen Dekaden gezeigt haben, gibt es eine Fülle von sehr kompetenten, handwerklich tadellosen und oft genug auch bemerkenswert inspirierten, eigenständigen Komponisten rund um die (Spät-) Romantik des deutschen Sprachraums. Hier gibt es viel Reizvolles zu entdecken, und in diesen Kontext fällt für mich auch das neue Senfter-Album, ohne dabei freilich zwingend herauszuragen. So oder so eine schöne, willkommene Neuveröffentlichung.

Holger Sambale [13.06.2024]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Johanna Senfter
1Quartett op. 11 für Klavier, Violine, Viola und Viola da gamba 00:30:04
5Sonate op. 37 für Klarinette, Bratsche, Horn und Klavier 00:20:47
6Trio op. 103 für Klarinette, Horn und Klavier 00:22:42
CD/SACD 2
1Quintett op. 119 für Klarinette und Streichquartett 00:19:28
4Sonate op. 57 für Klarinette und Klavier 00:25:29
7Kleines, leichtes Trio op. 134 für Violine, Violoncello und Klavier 00:07:15

Interpreten der Einspielung

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