Julius Otto Grimm
Symphony op. 19 • Second Suite in Canon Form op. 16

cpo 555 612-2
1 CD • 77min • 2021
10.07.2025
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Eine der markantesten Künstlerpersönlichkeiten im Freundeskreis um Robert Schumann und Johannes Brahms war Julius Otto Grimm, der ab 1860 bis zu seinem Tode 1903 als Leiter des Musikvereins in Münster amtierte. Von seiner Lebensleistung zehrt die Stadt bis heute, denn ihr Ruf als überregional bedeutendes Musikzentrum geht wesentlich auf das Wirken Grimms zurück, der regelmäßig weltberühmte Solisten zu seinen Konzerten einlud und sich für die damals zeitgenössische Musik einsetzte. Die Einspielung der zwei bedeutendsten Orchesterkompositionen Grimms durch das Sinfonieorchester Münster unter seinem Generalmusikdirektor Golo Berg kann somit auch als eine Form des Dankes an den großen Vorgänger betrachtet werden.
Düster, obsessiv und am Ende drollig
Grimm hinterließ nur verhältnismäßig wenige Werke, von denen die meisten vor seinem 45. Geburtstag entstanden – insgesamt 28 Opuszahlen. Aber davon, dass er als Komponist Gewichtiges zu sagen hatte, legen seine Symphonie und seine Orchestersuite Nr. 2 beredt Zeugnis ab. Die 1852 komponierte und uraufgeführte, aber erst 1874 gedruckte Symphonie teilt nicht nur ihre Tonart d-Moll mit Schumanns Vierter – die 1852 noch ungedruckt in der Schublade lag – und dem Ersten Klavierkonzert von Brahms – das damals noch nicht existierte –, sondern berührt sich auch charakterlich mit beiden Werken der Freunde. Eine ausgedehnte, düstere Einleitung gibt die Grundstimmung für die ersten drei Sätze vor. Das Hauptthema des groß dimensionierten Allegros wird von einem obsessiven Rhythmus geprägt, der weite Strecken des Satzes beherrscht. Besonders originell ist der zweite Satz, ein Trauermarsch, der nominell in F-Dur steht, aber durch die Harmonisierung derart in Schatten gehüllt wird, dass sich ein Dur-Charakter auf Dauer nicht einstellen will. Nach dem Scherzo mit seiner widerborstigen Metrik setzt Grimm zum Schluss auf größtmöglichen Kontrast zum Vorhergegangenen und beschließt sein Werk mit einem drollig-motorischen Dur-Finale, ähnlich demjenigen von Schumanns B-Dur-Symphonie.
Phantasievolle symphonische Kanons
Grimm gehörte offensichtlich zu jenen Komponisten, deren Phantasie durch strenge Regeln nicht gehemmt, sondern beflügelt wird. So gehören die beiden Suiten in Kanonform zu seinen besten Werken. Während die Erste nur für Streicher geschrieben ist und keine 20 Minuten dauert, besitzt die hier eingespielte Zweite Suite für großes Orchester die Dimensionen einer ausgewachsenen Symphonie. Tatsächlich scheint Grimm mit dem Gedanken gespielt zu haben, sie „Symphonie“ zu nennen – meines Erachtens wäre das die passendere Bezeichnung gewesen. In allen vier Sätzen des gut halbstündigen Werkes bildet ein zweistimmiger Kanon das Grundgerüst, während die übrigen Stimmen frei gestaltet sind. Der Kanon zieht sich jeweils, nur an wenigen Stellen durch „freie“ Takte unterbrochen, durch den ganzen Satz. Da die Formen der Sätze den in einer Symphonie üblichen entsprechen, sind exponierende, durchführende und rekapitulierende Abschnitte ausnahmslos kanonisch gesetzt. Um diese strenge Konzeption in Kunst zu verwandeln, entwickelt Grimm bemerkenswerten Einfallsreichtum. So bleibt der Kanon während des Verlaufs nicht immer in den gleichen Stimmen. Meist ist er als Thema gedacht, doch gestaltet Grimm manche Abschnitte so, dass der Kanon nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit des Hörers steht: In der hymnischen Schlussgruppe des Kopfsatzes ist er offensichtlich als Begleitung einer nicht-kanonischen Hauptstimme gedacht, ebenso im Trio des Menuetts. Letztlich ist das Werk als kontrapunktischer Kraftakt ebenso unterhaltsam wie als meisterhaftes Beispiel symphonischer Musik des mittleren 19. Jahrhunderts.
Schwungvolle Interpretation
Bei der Wiedergabe beider Kompositionen lassen Golo Berg und seine Musiker keine Wünsche offen. Die Aufführungen werden von einem Schwung getragen, der sich angenehm abhebt von der ziemlich schwerfälligen Einspielung der Symphonie des Grimm-Nachfolgers Fritz Volbach durch die gleichen Kräfte. Berg lässt mit Liebe zum Detail musizieren, was besonders dem feinen Stimmengewebe der Kanon-Suite zugute kommt, verliert sich aber nie in Einzelmomenten, sondern behält stets das Ganze im Blick. Wie so oft bei Veröffentlichungen von cpo liegt der CD ein mit wertvollen Informationen reich ausgestatteter Einführungstext bei.
Norbert Florian Schuck [10.07.2025]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Julius Otto Grimm | ||
1 | Sinfonie d-Moll op. 19 | 00:42:12 |
5 | Suite Nr. 2 G-Dur op. 16 (in Canon Form) | 00:34:24 |
Interpreten der Einspielung
- Sinfonieorchester Münster (Orchester)
- Golo Berg (Dirigent)