»HAJR«
Misagh Joolaee Kamancheh • Bakr Khleifi Oud
GWK Records 166
1 CD • 71min • 2024
20.12.2025
Künstlerische Qualität:![]()
Klangqualität:![]()
Gesamteindruck:![]()
Das neue Album „Hajr" des iranischen Kamancheh-Virtuosen Misagh Joolaee und des palästinensischen Oud-Meisters Bakr Khleifi ist mehr als die Begegnung zweier Instrumente – es ist ein Dialog, der zeigt, was musikalisch möglich wird, wenn ideologische Grenzen schweigen. Wer die hier vorliegende und klanglich bestechend realisierte Live-Aufnahme aus dem Pierre-Boulez-Saal in Berlin auf sich wirken lässt, wird konfrontiert mit einer transparenten Luftigkeit und wird diese feinen Klänge vielleicht gar synästhetisch empfinden, ähnlich wie kunstvoll ausgeführte kalligraphische Linien auf weißem Grund.
Ständige improvisatorischen Verwandlung
Die acht Stücke des Albums, das bei GWK Records erschienen ist, bauen auf komponierten thematischen Ideen auf, doch der eigentliche Reiz liegt in ihrer ständigen improvisatorischen Verwandlung. Majestätisch atmend beginnen die ruhigeren Stücke zu Beginn, etwa Rooyesh oder Khalvat Gozideh. Mit der Zeit aber legen beide Musiker an Tempo, Intensität und auch vertrackter rhythmischer Finesse immer weiter zu. Über die gesamten 70 Minuten entfaltet sich eine dialogische Dramaturgie zwischen meditativer Ruhe und eruptiver Leidenschaft. Misagh Joolaee „singt" auf seinem persischen Streichinstrument mit einem nasalen, mal statischen, dann wieder vibrierenden Ton, der sich in feinen Melismen verästelt. Das bringt ornamentale und „orientalische“ Mikrointervalle ins Spiel, die Fernweh und Reiselust bei westlichen Ohren hervorruft.
Zwei Meister ihres Fachs
In ihrer Aufrichtigkeit und Reinheit zeigen sich Joolaee und Khleifi haushoch erhaben über jedem Weltmusik-Exotismus. Dahinter steht eine klassische Ausbildung in ihren jeweiligen Herkunftstraditionen und zugleich eine offene, zeitgenössische Haltung, die europäische Konzertpraxis mit persischer und palästinensischer Musiktradition verschränkt. Khleifis Oud antwortet auf das Spiel seines iranischen Kollegen mit der warmen, perkussiven Artikulation seines Instruments. Seine Maqam-basierten Wendungen und rhythmischen Figuren sind fordernd, manchmal grundierend mit repetitiven Tonmustern und oft im Temperamentssturm entfesselt. In den längeren Stücken – besonders hervorzuheben sind Khalvat Gozideh und das ausgedehnte Sama'i Farahfaza – wird deutlich, wie souverän die Oud nicht bloß begleitet, sondern dialogisch konstruiert: Themen werden fragmentiert, neu zusammengesetzt, in andere Tonräume versetzt. Die zwei als „Improvisation" betitelten Tracks zeigen das vielleicht am deutlichsten: Hier gibt es keine vorgefertigten Sicherheitsnetze, nur die Musikalität und das gegenseitige Vertrauen zweier Meister ihres Fachs. Selten hat man eine Kammermusik in einer solchen klangsinnlichen Reinheit erlebt.
Vor allem ist es aber diese Dualität zwischen Kraft und Fragilität, zwischen Struktur und Freiheit, die „Hajr" zu einem großen Wurf macht. Dieses Album mit seinem improvisiert geführten Dialog zweier alter Musiktraditionen führt vor, wie wunderbar diese Musik in ihrer Vielfalt ist. Und dass Kunst dort beginnt, wo Ideologie endet.
Stefan Pieper [20.12.2025]
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Komponisten und Werke der Einspielung
| Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
|---|---|---|
| CD/SACD 1 | ||
| Misagh Joolaee | ||
| 1 | Rooyesh | 00:03:07 |
| 2 | Khalvat Gozideh | 00:13:20 |
| Bakr Khleifi | ||
| 3 | Sharid | 00:09:52 |
| Misagh Joolaee/Bakr Khleifi | ||
| 4 | Improvisation I | 00:08:24 |
| 5 | Sharar | 00:04:43 |
| 6 | Improvisation II | 00:03:50 |
| Bakr Khleifi | ||
| 7 | Sama'i Farahfaza | 00:07:25 |
| 8 | Hajr | 00:10:42 |
| Misagh Joolaee | ||
| 9 | Az Bahar | 00:09:07 |
Interpreten der Einspielung
- Misagh Joolaee (Kamancheh)
- Bakr Khleifi (Oud)
