20 Years hohenstaufen festival

hänssler CLASSIC HC24060
5 CD • 5h 58min • 2008-2023
23.07.2025
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Seit 20 Jahren gibt es das Kammermusik-Festival Hohenstaufen, das auf Initiative von Rahel Rilling jeweils im Herbst in dem kleinen Ort Hohenstaufen in der Nähe von Göppingen stattfindet. Bei Hänssler Classic ist nun eine Jubiläums-Box mit 5 CDs erschienen, die ausschließlich aus Live-Mitschnitten besteht. Wie ein Qualitätssiegel wirkt die fünfte CD, auf der das Konzert vom 15. September 2024 in der evangelischen Kirche Hohenstaufen gespeichert ist: die Geigerin Rachel Rilling, eine Tochter des bedeutenden Bach-Spezialisten und Dirigenten Helmuth Rilling, führt ein Ensemble an, das Werke von Johann Sebastian Bach auf beeindruckende Weise aufführt mit einem Programm, das eine Brücke schlägt von barocker Kammermusik zum Orchesterklang. Für die Brandenburgischen Konzerte Nr. 3 und 5, BWV 1048 und 1050, sowie für das d-Moll-Doppelkonzert für 2 Violinen BWV 1043 haben sich brillante Musiker zusammengefunden, die zumeist schon seit längerer Zeit beim Hohenstaufen-Festival miteinander musizieren. Zu nennen sind neben Rahel Rilling vor allem ihre Schwester Sara Rilling (Viola), Gabriel Adorján (Violine), David Adorján (Violoncello) und Daniel Röhn (Violine) neben einer Vielzahl von weiteren Mitwirkenden.
Bach im Zentrum
Bach klingt dabei wie aus einem Guss, wobei zu bedenken ist, dass auf modernen Instrumenten gespielt wird und zudem alle Wiedergaben als Live-Aufzeichnungen gespeichert wurden. Man spürt die Begeisterung, die technische Sicherheit und die Freude an Rhythmus, Klang und Bewegung, die alle Interpretationen auszeichnet. Wenn beim fünften Brandenburgischen Konzert die solistische Flöte (András Adorján) dominiert und das Cembalo (Beni Araki) etwas in den Hintergrund gerät, dann ist dies zweifellos dem Instrumentarium zuzuschreiben, das eben nicht auf historischer Einstellung basiert. Typisch für die Programmgestaltung des Kammermusikfestivals ist die Offenheit allen Stilarten und Richtungen gegenüber. So findet sich inmitten der Bach-Werke das Stück Last round für Streichnonett von dem 1960 geborenen argentinischen Komponisten Osvaldo Goljov, eine Hommage an den Meister des Tango Argentino, Astor Piazzolla. Und man staunt, wie nahtlos und engagiert alle Neune sich von Bach auf die Moderne umstellen. Die Bravo-Rufe des Publikums, die hier wie bei vielen Programmnummern mit aufklingen, bestätigen den positiven Eindruck.
Von der Klassik zur Romantik
Der Schwerpunkt liegt beim Hohenstaufen-Festival auf klassischer und romantischer Kammermusik, wobei es neben vertrauten Werken wie dem schmissigen „Ungarischen Klaviertrio“ von Haydn, dem feinsinnig gespielten Dissonanzenquartett KV 465 von Mozart, dem Klarinettenquintett h-Moll op. 115 von Brahms mit dem exzellenten Solisten Jörg Widmann oder dem Klaviertrio F-Dur op. 80 von Schumann mit der Pianistin Yejin Gil auch einige Überraschungen gibt. So hat der Geiger Daniel Röhn eine Opernsuite für zwei Violinen nach Mozart arrangiert, beginnend mit der Figaro-Ouvertüre und weiterführend zu allerlei beliebten Arien, ein wahres Brillantfeuerwerk, das beim 4. Festival 2009 Begeisterungsstürme auslöste. Als eine Entdeckung darf man das frühe Klaviertrio in G-Dur von Claude Debussy werten, das erst spät nach dem Tod es Komponisten zum Vorschein kam und sich neben dem fulminanten Trio von Ravel durchaus behaupten kann.
Entdeckungen in der Moderne
Dass sich Rahel Rilling und ihre Mitstreiter auch für Werke einsetzen, die gleichsam zwischen den Zeiten liegen, kann man an ihren bedeutsamen Wiedergaben des Streichsextetts Verklärte Nacht op. 4 von Arnold Schönberg oder des Klavierquartettsatzes des sechzehnjährigen Gustav Mahler ablesen. Und die Neue Musik mit den verschiedensten Stilrichtungen ist beim Hohenstaufen-Festival immer wieder vertreten, auch wenn es dabei manche harte Nuss zu knacken gibt! Osvaldo Golijov ist mit den düsteren Tenebrae für Streichquartett und dem Gedenkstück Mariel in einer Fassung für Violine und Violoncello zu hören, von Jörg Wittmann stammt die originelle Komposition 180 beats per minute für Streichsextett, die wahrhaft „feroce“ (wild und heftig) gespielt wird. Und für Spieler wie Hörer besonders anspruchsvoll ist das vielschichtige Klavierquintett von Alfred Schnittke, das in den Jahren 1972 bis 1976 entstand und vom Urgrund B-A-C-H aus weit in die Moderne vordringt. Die spannende Interpretation dieses Werkes vom September 2018 zählt zu den Höhepunkten der Festival-Geschichte.
Begegnungen mit Jazz und Folklore
Und schließlich gibt es in Hohenstaufen auch bemerkenswerte Ausflüge in Richtung Jazz. Beim Minor Swing von Django Reinhardt zeigt Rahel Rilling, dass sie mühelos mit Experten wie Florian Menzel (Trompete), Giovanni Weiss (Gitarre), Mini Schulz Bass) und Eckhard Stromer (Drums) mithalten kann. Und für Oscar Petersons Hymn to Freedom setzen sich die drei Jazzer besonders einfallsreich und mitreißend in Szene. Einflüsse der Folklore kommen wirkungsvoll zur Geltung bei dem elegischen Lied Varshe (Warschau) von Leonid Desyatnikov mit der Sopranistin Alma Sadé und den Volkstänzen für Klaviertrio vom 1899 geborenen russischen Komponisten Alexander Weprik.
Das Booklet (deutsch und englisch) bietet zwar einen Einblick in die Entstehung und Weiterführung des Kammermusik-Festivals Hohenstaufen, doch vermisst man Informationen zu den gespielten Werken, was besonders bei den neueren Kompositionen bedauerlich ist. Auch über die Mitwirkenden findet man keinerlei Auskünfte, abgesehen von der Initiatorin Rahel Rilling.
Prof. Klaus Trapp [23.07.2025]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Wolfgang Amadeus Mozart | ||
1 | Streichquartett Nr. 19 C-Dur KV 465 (Dissonanzen-Quartett) | 00:30:18 |
Arnold Schönberg | ||
5 | Verklärte Nacht op. 4 | 00:24:43 |
Daniel Röhn | ||
10 | Opernsuite für 2 Violinen (nach W.A. Mozart) | 00:17:39 |
CD/SACD 2 | ||
Johannes Brahms | ||
1 | Quintett h-Moll op. 115 für Klarinette, 2 Violinen, Viola und Violoncello | 00:39:57 |
Osvaldo Golijov | ||
5 | Tenebrae (Version II für Streichquartett) | 00:12:26 |
Claude Debussy | ||
6 | Klaviertrio G-Dur | 00:14:13 |
CD/SACD 3 | ||
Maurice Ravel | ||
1 | Klaviertrio a-Moll | 00:27:28 |
Robert Schumann | ||
5 | Trio Nr. 2 F-Dur op. 80 für Violine, Violoncello und Klavier | 00:22:06 |
Joseph Haydn | ||
9 | Klaviertrio Nr. 23 G-Dur Hob. XV:25 | 00:14:51 |
Django Reinhardt | ||
12 | Minor Swing | 00:04:48 |
CD/SACD 4 | ||
Jörg Widmann | ||
1 | 180 beats per minute für Streichsextett | 00:05:31 |
Osvaldo Golijov | ||
2 | Mariel | 00:05:39 |
Gustav Mahler | ||
3 | Quartettsatz a-Moll für Violine, Viola, Violoncello und Klavier | 00:11:34 |
Alexander Weprik | ||
4 | Drei Volkstänze op. 13b | 00:05:24 |
Leonid Desyatnikov | ||
7 | Varshe (aus: Yiddish - 5 Lieder für Stimme und Streichquartett) | 00:03:47 |
Oscar Peterson | ||
8 | Hymn to Freedom | 00:12:33 |
Alfred Schnittke | ||
9 | Klavierquintett | 00:27:21 |
CD/SACD 5 | ||
Johann Sebastian Bach | ||
1 | Brandenburgisches Konzert Nr. 5 D-Dur BWV 1050 | 00:20:26 |
4 | Konzert d-Moll BWV 1043 für 2 Violinen und Orchester | 00:14:57 |
9 | Brandenburgisches Konzert Nr. 3 G-Dur BWV 1048 | 00:11:22 |
Interpreten der Einspielung
- Rahel Maria Rilling (Violine)
- Gabriel Adorján (Violine)
- Guy Ben-Ziony (Viola)
- Dávid Adorján (Violoncello)
- Isabel Charisius (Viola)
- Martin Menking (Violoncello)
- Jörg Widmann (Klarinette)
- Lena Neudauer (Violine)
- Amichai Gross (Viola)
- Anna Theresa Steckel (Violine)
- Paul Rivinius (Klavier)
- Zvi Plesser (Violoncello)
- Yejin Gil (Klavier)
- Nora Chastain (Violine)
- Annika Treutler (Klavier)
- Florian Menzel (Trompete)
- Mini Schulz (Kontrabass)
- Eckhard Stromer (Schlagzeug)
- Daniel Röhn (Violine)
- Felix Nickel (Violoncello)
- Christopher Jepson (Violoncello)
- Sonja Lena Schmid (Violoncello)
- Miriam Manasherov (Viola)
- Anne Twardowski (Klavier)
- Alma Sadé (Sopran)
- Cornelia Gartemann (Violine)
- David Gazarov (Klavier)
- Martin Funda (Violine)
- Stefan Heinemeyer (Violoncello)
- Jacques Ammon (Klavier)
- Beni Araki (Cembalo)
- Dušan Kostić (Kontrabass)
- Emily Mücke (Violine)
- Nora Farkas (Violine)
- Kristina Menzel-Labitzke (Viola)
- Heike Schuch (Violoncello)